Sonntag, 9. Oktober 2011

Una hija más de la población.

Immer mehr werde ich Teil der Dorfgemeinschaft. Ich betrachte das als wichtigen Aspekt meiner Arbeit - solange ich nicht richtig dazugehöre, kann ich denen hier ja viel erzählen, und ein bisschen Einfluss will ich ja doch nehmen...
So langsam lerne ich also Namen und Gesichter. Das schwierige ist, dass mich alle sofort erkennen - hier in San Pedro steche ich mit meiner Barbiehaut durchaus hervor, und mich zwar freudig begrüßen, aber sich nie richtig vorstellen. Frage ich nach, kriege ich zwar den gesuchten Namen gesagt, aber dann auch noch gleich alle Verwandtschaftsverhältnisse erklärt, und ich bin so verwirrt, dass ich mir nichts mehr merken kann. Nicht dass ich nicht eh schon schwer damit beschäftigt wäre, statt "gafas" (Brille) "lentes" zu sagen, statt "coche" (Auto) "carro" und statt "chulo (cool) "chevere".

Gestern war es ganz schlimm, zum Dorffest anlässlich einer "Chicharronada" kamen auch noch Leute aus den umliegenden Dörfern nach San Pedro, und ich war komplett überfordert. Die Chicharronada, zu deutsch in etwa "Schweinerei", ist ein netter Brauch, um Familien in Not zu helfen. Ein Junge aus dem Dorf hat kürzlich einen Fuß verloren und die lausige Versicherung kommt nicht für die medizinische Versorgung auf (die ohnehin ein eigenes Kapitel ist - das Krankenhaus von Ica fiel beim letzten Erdbeben in sich zusammen und wurde durch eine Art permanentes Feldlazarett ersetzt, aus dem man kranker herauskommt, als man eingeliefert wird. Hoffentlich hol ich mir hier nie was ernstes).
Die betreffende Familien kocht dann also ein Schwein, alle kommen zusammen und müssen gegen eine Spende davon essen (ich als deutsche "Vege-was?" kam glücklicherweise mit der Spende allein davon). Dazu wird lautstark Cumbia aus der Musikbox und Fußball gespielt. Anschließend wird Bier getrunken (auch darum konnte ich mich drücken, war aber nicht ganz so einfach). Alles nicht so ganz mein Fall - der versprochene Tanz blieb leider aus, aber an sich eine fröhliche Angelegenheit, und für mich eine Primagelegenheit, mein Namensgedächtnis im fracaso (Scheitern) zu erleben... aber ich habe Hoffnung.

Ich bekomme auch immer mehr Besuch, die Leute fassen sehr schnell Vertrauen zu mir. Ich werde um psychologische Hilfe gebeten (Ay, mi hija...), auch die Kinder erzählen mir alle Sorgen, die teilweise durchaus inquietantes (beunruhigend) sind. Heute sollte ich ein psychologisches Gutachten über eines der Nachbarskinder erklären, das definitiv nicht in Dorf-Spanisch geschrieben war. Abends helfe ich bei Hausaufgaben, dann wird gespielt. Sogar zum Fußballspielen konnten sie mich bewegen, womit ich mir das besondere Vertrauen der kleinen Grecia erwarb, die mir dafür ihren Kaugummi schenken wollte, mit Vorkauservice...

Inzwischen darf ich mich auch ohne Stefania durch die Gegend bewegen (tagsüber zumindest), jetzt wo mich alle kennen und auf mich aufpassen. Hab heute eine kleine TiNi-Runde unternommen, auch und vor allem, um die vielen Absenzen der letzten Woche aufzuklären. Bevor ich irgendwas wichtiges anfange, muss ich mich nämlich erst mal darum kümmern, dass die Schüler auch zum Unterricht erscheinen. Das schönste Bildungskonzept nützt ja nichts, wenn es niemanden erreicht. Und am Freitag waren wir zu dritt.
Das Problem ist dieses, dass bei den Kids zuhause zahllose kleine Geschwister herumwuseln, und wenn beide Eltern auf dem Felde arbeiten, müssen die Größeren bei den Kleineren bleiben. Sind die Mütter zuhause, werden von den Kindern manche einbehalten, damit sie im Haushalt helfen. Reiskochen ist ja schließlich auch ein Skill, der erworben werden muss. Lesen und Schreiben... pfff. Nicht die besten Ausgangsbedingungen für mich. Ich habe mit den Größeren schon eine Einheit zum Wert von Bildung gemacht, aber ich fürchte, die Lektion ist nicht so richtig hängengeblieben.
Ein paar allerdings kommen regelmäßig und bitten mich sogar freiwillig um mehr Hausaufgaben und Übungen während der Pause. Ich beobachte, dass dieses Verhalten relativ direkt davon abhängt, wie ich die Kompetenzen der einzelnen Kinder betone und ihnen für die vollbrachten Leistungen Aufmerksamkeit schenke. In dieser Hinsicht ist es ganz gut, dass ich nie mehr als sechs Kinder auf einmal in meiner Klasse habe und mich sehr individuell kümmern kann - allerdings ist hier eine Klasse von Sechsen so anstrengend wie daheim eine von 30...

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